von Corinna Becker
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. (Ps 90, 12)
Viele Menschen machen sich Sorgen über die letzte Phase ihres Lebens. Sie fragen sich: Wie wird es mit mir zu Ende gehen? Werde ich einmal zu Hause sterben können oder wird man mich ins Krankenhaus bringen? Werden dann Menschen bei mir sein, mir beistehen und Kraft geben? Werde ich unerträgliche Schmerzen haben? Oder nur noch ohne Bewusstsein vor mich hindämmern? So schwer solche Fragensind, es ist gut, ihnen nicht auszuweichen. Denn zum verantwortlichen Leben gehören ebenso das Bedenken des Todes und das Annehmen der eigenen Sterblichkeit. Der christliche Glaube, dessen Mittelpunkt Sterben, Tod und Auferstehung Jesu Christi ist, gibt uns die Freiheit, auch über das eigene Sterben nachzudenken und angemessene Vorsorge zu treffen.
In den letzten Jahrzehnten ist das Sterben zu Hause im Kreis der Familie, der Angehörigen und Nachbarn selten geworden. Die weitaus meisten Menschen sterben in Alten- oder Pflegeheimen und Krankenhäusern. Dort wird ihnen eine fachkundige medizinisch-pflegerische Betreuung zuteil, wie sie in früheren Jahrhunderten unbekannt war. Der wachsende Fortschritt der medizinischen Möglichkeiten wirft aber auch Fragen auf, die sich früher so nicht gestellt haben. Viele Menschen fragen, ob die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Medizin am Ende wirklich zu einer Verbesserung der Lebensqualität beiträgt oder ob sie nur einen belastenden Sterbeprozess verlängert. Ist es vielleicht besser, in der vertrauten Umgebung zu sterben, auch wenn fehlende technisch-medizinische Möglichkeiten die letzte Lebensphase verkürzen können, oder ist es besser, auf der Intensivstation, von technischen Geräten umgeben, solange wie möglich zu leben?
Solche Fragen lassen sich nicht generell beantworten. Um menschenwürdig bis zuletzt leben zu können, kann sowohl eine intensive medizinische Behandlung erforderlich sein als auch der Verzicht auf ihre Anwendung. Letztlich muss die Entscheidung aus der konkreten Lage des sterbenden Menschen heraus und von seinen Bedürfnissen her getroffen werden. Aber wer entscheidet? Wer entscheidet, wenn Betroffene selbst sich nicht mehr äußern können? Wer entscheidet, wenn Sie selbst nicht mehr sagen können, was Ihr eigener Wunsch ist? Auch wenn ich meine Vorstellungen und Wünsche nicht schriftlich dokumentiert haben, werde ich – meiner Situation angemessen – behandelt und versorgt werden. Ärzte, Ärztinnen und Pflegende haben sich verpflichtet, die Würde und den Wert jedes menschlichen Lebens bis zuletzt zu achten. Dennoch setzt jede medizinisch-technische Behandlung mein Einverständnis voraus.
Mit Hilfe einer Patientenverfügung können wir schon jetzt die Anwendung medizinischer Verfahren und damit die Qualität der letzten Lebensphase mitbestimmen. Wir können schon jetzt etwas dafür tun, dass wir in dieser Phase des Lebens unserer Vorstellung und unserem Wunsch gemäß menschenwürdig und körperlich erträglich durch medizinische Behandlung und qualifizierte Pflege betreut werden. Falls Menschen in eine Situation geraten, in der sie nicht mehr in der Lage sind, selbst über medizinische Maßnahmen zu entscheiden, ist die von ihnen verfasste Patientenverfügung von dem Arzt oder der Ärztinals wichtige Entscheidungshilfe zu berücksichtigen.
Die „Christliche Patientenverfügung“ entstand erstmalig 1999 in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bischofskonferenz und Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie den übrigen Kirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland. Mittlerweile liegt seit 2003 die zweite Ausgabe vor. Die christliche Patientenverfügung ist dem christlichen Glauben verpflichtet. Dieser achtet das Leben und die einzigartige Würde des Menschen als Gottes unantastbare Gabe, die auch im Sterben zu respektieren ist, und weiß sich von der Auferstehungshoffnung getragen.
Folgende Überlegungen sollen dazu anregen, rechtzeitig eine solche Patientenverfügung zu formulieren:
- Das Leben ist uns geschenkt, damit wir es – trotz Leid und Tod – annehmen und gestalten können. Gott ist ein Freund des Lebens. Er will, dass uns ein erfülltes Leben gelingt. Dazu wünscht er unser Mittun und Mitgehen. Er befähigt uns dazu, dass wir unser Leben verantwortlich gestalten, auch in der letzten Phase.
- Bis zuletzt soll ein Leben als lebenswert und sinnvoll erfahren werden können. Dazu gehört auch, Informationen zu erhalten, entscheiden zu dürfen, in Verbindung mit lieben Menschen bleiben zu können, Zeit zum Durchdenken und Klären von Fragen und zum Abschiednehmen und Annehmen des eigenen Todes zu haben. Dieses ist häufig ein schwieriger Prozess. Das Bereitwerden zum Sterben kann durch schwere Schmerzen und quälende körperliche Symptome und ebenso durch massive medikamentöse Dämpfung behindert werden. Schmerztherapie, Palliativmedizin, pflegerische Maßnahmen, mitmenschliche und geistliche Begleitung sollen es möglich machen, mit Gespür und Achtung für den sterbenden Menschen die Balance zu finden, die auch die letzte Lebensstrecke menschenwürdig und sinnvoll durchleben lässt.
- Wir machen die Erfahrung, dass wir unser Leben nicht in der Hand haben. Das Leben ist ein Geschenk Gottes. Wir vertrauen auf seine Begleitung und Hilfe auch für die letzte Phase unseres Lebens. In diesem Vertrauen nutzen wir die Möglichkeit einer Patientenverfügung. Sie erleichtert es den Ärzten, Ärztinnen und Pflegenden, uns mit unseren Wünschen zu achten, ganz gleich, in welcher Bewusstseinslage wir uns befinden.
- Jedes menschliche Leben hat ein Ende. Für jeden Menschen kommt die Zeit des Sterbens. Manchmal stellt sich dann die Frage, ob das Lebensende noch für eine kurze Zeit hinausgezögert werden kann und soll. Mit der Patientenverfügung kann der persönliche Wunsch formuliert werden, auf umfangreiche medizinisch-technische Behandlung zu verzichten. Damit soll auch für den Fall, dass wir selbst uns nicht mehr äußern können, gewährleistet werden, dass meine persönliche Einstellung zum Ende des Lebens für alle behandelnden Ärzte und Ärztinnen bekannt ist und respektiert wird. Dies bedeutet nicht, dass auf die Möglichkeiten moderner Medizin verzichtet werden soll, wenn davon eine nachhaltige Hilfe zu erwarten ist.
- Es ist zu respektieren, wenn Patienten oder Patientinnen sich dafür entscheiden, den Weg durch Krankheit und Leid, durch das Ertragen von Schmerzen und belastenden Behandlungen als Prozesses inneren Wachstums anzunehmen. Manche Christen machen durch ihr Leiden die Erfahrung einer tiefen Solidarität mit Christus, der uns durch sein Leiden erlöst.
- Das Leben ist uns nicht frei verfügbar. Genauso wenig haben wir ein Recht, über den Wert oder Unwert eines menschlichen Lebens zu befinden. Jeder Mensch hat seine Würde, seinen Wert und sein Lebensrecht von Gott her. Jeder Mensch ist ungleich mehr und anders, als er von sich selbst weiß. Kein Mensch lebt nur für sich und kann genau wissen, was er für andere bedeutet. Weil Gott allein Herr über Leben und Tod ist, sind Leben und Menschenwürde geschützt. Im Glauben an den Gott des Lebens wissen wir, dass jeder Mensch mit seinem Leben – wie immer es beschaffen ist – unentbehrlich ist. Ohne solche Anerkennung der Würde und des Lebensrechtes jedes Menschen wäre kein Zusammenleben der Menschen möglich. Es gäbe kein Recht und keine Liebe. Würde z.B. ein Arzt oder eine Ärztin, die stets Anwalt des Lebens zu sein haben, einer Bitte von Angehörigen folgen und einen qualvoll leidenden Patienten töten, so würde das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient grundlegend zerstört. Darum muss eindeutig und klar gesagt werden: Das Töten eines Menschen kann niemals eine Tat der Liebe oder des Mitleids sein, denn es vernichtet die Basis der Liebe und des Vertrauens. Weil wir nicht selbst frei über unser Leben und schon gar nicht über das Leben anderer verfügen, lehnen wir jede aktive Beendigung des Lebens ab.
- „Aktive Sterbehilfe“ und „passive Sterbehilfe“ müssen deutlich voneinander unterschieden werden. „Aktive“ Sterbehilfe meint die gezielte Tötung eines Menschen, z.B. durch die Verabreichung eines den Tod herbeiführenden Präparates (z.B. Tablette, Spritze, Infusion). Sie ist in Deutschland gesetzlich verboten und wird strafrechtlich verfolgt, und zwar auch dann, wenn sie mit ausdrücklicher Zustimmung des Patienten oder der Patientin erfolgt. „Aktive Sterbehilfe“ ist mit dem christlichen Verständnis vom Menschen nicht vereinbar. Demgegenüber zielt „passive“ Sterbehilfe auf ein menschenwürdiges Sterben lassen ab durch den Verzicht auf eine lebensverlängernde Behandlung bei einem unheilbar kranken Menschen, der sich im Sterben befindet. „Passive Sterbehilfe“ setzt das Einverständnis des sterbenden Menschen voraus und ist rechtlich und ethisch zulässig.
Die Christliche Patientenverfügung möchte einen Weg zwischen unzumutbarer Lebensverlängerung und nicht verantwortbarer Lebensverkürzung aufzeigen. Sie soll als Entscheidungshilfe dienen – sowohl für unsere eigene Urteilsbildung als auch für alle, die möglicherweise einmal an unserer Stelle entscheiden müssen. Zusätzlich kann mit der Vorsorgevollmacht eine Vertrauensperson benannt werden, die in meinem Sinne tätig werden soll. Christliche Kirchen bieten Betroffenen, ihren Angehörigen und allen, die im Gesundheitswesen tätig sind, seelsorgerliche Begleitung an. Das gilt in besonderer Weise für schwierige Entscheidungen am Lebensende. Es soll nichts unversucht bleiben, um Menschen ein Leben in Frieden, Würde und Selbstbestimmung bis zum Tode zu ermöglichen.
Aus Gottes Hand empfing ich mein Leben, unter Gottes Hand gestalte ich mein Leben, in Gottes Hand gebe ich es zurück.
(Augustinus)
Was ist eine Patientenverfügung?
Eine „Patientenverfügung“ ist eine vorsorgliche schriftliche Erklärung, durch die ein einwilligungsfähiger Mensch zum Ausdruck bringt, dass er in bestimmten Krankheitssituationen keine Behandlung mehr wünscht, wenn diese letztlich nur dazu dient, sein ohnehin bald zu Ende gehendes Leben künstlich zu verlängern. Im anglo-amerikanischen Sprachraum ist hierfür der Begriff „living will“ geprägt worden. Im deutschen Sprachraum setzt sich langsam die Bezeichnung „Patientenverfügung“ durch. Als irreführend hat sich der Begriff „Patiententestament“ erwiesen, der manchmal noch anzutreffen ist. Ein Testament enthält seiner Definition nach nur Bestimmungen für den Zeitpunkt nach Todeseintritt, nicht jedoch für die letzte Phase des Lebens. Außerdem hat ein Testament eine andere rechtliche Qualität.
Wann wird die Patientenverfügung angewendet?
Eine Patientenverfügung wird berücksichtigt, wenn folgende drei Voraussetzungen erfüllt sind:
a) Die betroffene Person ist nicht mehr einwilligungsfähig.
b) Die lebensbedrohende Erkrankung wird in absehbarer Zeit zum Tode führen und
c) es stellt sich die Frage, ob auf eine mögliche Behandlung verzichtet oder eine begonnene Behandlung beendet werden soll.
In einer solchen Situation sollte – wenn möglich – keine Unklarheit darüber bestehen, welche Wünsche und Werte ich respektiert wissen will. Für den Arzt oder die Ärztin ist die Patientenverfügung ein wichtiges Indiz für meinen mutmaßlichen Willen, den außer acht zu lassen rechtswidrig sein kann. Die Verantwortung für die medizinischen Maßnahmen trägt freilich der Arzt oder die Ärztin.
Wann und wie lange gilt die Patientenverfügung?
Die Ablehnung einer ärztlichen Behandlung kann ich grundsätzlich immer auch mündlich äußern. Für den Fall, dass ich Sie nicht mehr in der Lage bin, meine Angelegenheiten selbst zu regeln, empfiehlt sich jedoch die schriftliche Niederlegung meines Willens. Anders als beim handschriftlich abgefassten Testament kann die Patientenverfügung auch als Formular ausgefüllt werden. Wichtig sind das Datum sowie die handschriftliche Unterzeichnung mit Vor- und Familienname. Die Herausgeber der Christlichen Patientenverfügung empfehlen, die Verfügung etwa alle ein bis zwei Jahre durch eine weitere Unterschrift zu bestätigen, damit nicht Zweifel daran aufkommen, ob ich noch derselben Meinung sind.
Der in der Patientenverfügung bekundete Wille kann von mir jederzeit, auch formlos wieder rückgängig gemacht werden. Der Widerruf muss nicht schriftlich oder sprachlich ausgedrückt werden. Es kann auch genügen, sich mit Zeichen verständlich zu machen oder die Patientenverfügung zu zerreißen.
Wie verbindlich ist die Patientenverfügung?
Die rechtsverbindliche Wirkung einer Patientenverfügung wird vielfach mit der Begründung in Frage gestellt, der Patient oder die Patientin könne zum Zeitpunkt der Abfassung keine sichere Prognose über die eigenen Behandlungswünsche im Verlauf einer tödlichen Erkrankung stellen. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, die Patientenverfügung in regelmäßigen Abständen etwa alle ein bis zwei Jahre erneut zu unterschreiben. Im September 1998 hat die Bundesärztekammer „Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“ verabschiedet. Darin hat sie sich ausdrücklich für eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes von Patienten ausgesprochen und betont, dass Patientenverfügungen eine wesentliche Hilfe für das Handeln des Arztes oder der Ärztin sind. Ausdrücklich legen die Grundsätze fest, dass Patientenverfügungen „verbindlich“ sind, „sofern sie sich auf die konkrete Behandlungssituation beziehen und keine Umstände erkennbar sind, dass der Patient sie nicht mehr gelten lassen würde“. Durch Inkrafttreten dieser Grundsätze hat die Patientenverfügung an rechtlicher Bedeutung gewonnen.
Was wird geregelt?
Mit einer Patientenverfügung können grundsätzlich sowohl Maßnahmen der sog. „passiven“ als auch der sog. „indirekten Sterbehilfe“ (s. nächsten Abschnitt) gefordert werden. Sie können also verlangen, dass lebenserhaltende Maßnahmen unterlassen werden sollen oder schmerzlindernde Medikamente verabreicht werden, selbst wenn diese sich möglicherweise lebensverkürzend auswirken könnten. Der inhaltlichen Gestaltung der Patientenverfügung sind allerdings aus christlicher Verantwortung und durch die Rechtsordnung Grenzen gesetzt. So kann z.B. nicht wirksam verfügt werden, dass der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin den Patienten für den Fall einer unheilbaren Erkrankung und großer Schmerzen tötet (sog. „aktive Sterbehilfe“). Wenn ich mich aufgrund einer bestehenden Erkrankung mit den absehbaren Folgen des weiteren Krankheitsverlaufs auseinandersetze, empfiehlt sich ein gesondertes ausführliches Gespräch mit einer Vertrauensperson und auch mit dem Arzt oder der Ärztin. Es besteht die Möglichkeit, die Patientenverfügung durch eine auf die zu erwartende Situation bezogene Bekundung meines Willens zu ergänzen. Diese Ergänzung sollte mit Ort, Datum und Unterschrift versehen sein.
Die verschiedenen Formen der Sterbehilfe
Es hat sich durchgesetzt, unter dem Begriff „Sterbehilfe“ die Erleichterung des Sterbens eines unheilbar schwerkranken Menschen zu verstehen. Wenn es dabei um mitmenschliche oder seelsorgerliche Hilfe im oder beim Sterben geht, sollte der Begriff „Sterbebegleitung“ verwendet werden. Mit der Forderung eines „menschenwürdigen Sterbens“ verbindet sich jedoch oft auch die Forderung, selbst über die Dauer der eigenen Lebenszeit und den Zeitpunkt des eigenen Todes bestimmen zu können. „Sterbehilfe“ wird so nicht mehr als Hilfe im oder beim Sterben, sondern als Hilfe zum Sterben (im Sinne der sog. „aktiven Sterbehilfe“) verstanden.
Da der Begriff „Sterbehilfe“ in seiner Vieldeutigkeit immer wieder Anlass zu solchen Missverständnissen gibt, müssen die verschiedenen Formen der Sterbehilfe unterschieden werden:
„Passive Sterbehilfe“ zielt auf ein menschenwürdiges Sterben lassen ab durch den Verzicht auf eine lebensverlängernde Behandlung bei einem unheilbar kranken Menschen, der sich im Sterben befindet. Sie setzt sein Einverständnis voraus und ist rechtlich und ethisch zulässig.
„Indirekte Sterbehilfe“ wird geleistet, wenn tödlich Kranken ärztlich verordnete schmerzlindernde Medikamente gegeben werden, die als unbeabsichtigte Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen können. Solche indirekte Sterbehilfe wird in Abwägung der ärztlichen Doppelpflicht – Leben erhalten und Schmerzen lindern – für rechtlich und ethisch zulässig gehalten.
„Aktive (oder direkte) Sterbehilfe“ meint die gezielte Tötung eines Menschen, z.B. durch die Verabreichung eines den Tod herbeiführenden Präparates (z.B. Tablette, Spritze, Infusion). Sie ist in Deutschland gesetzlich verboten und wird strafrechtlich verfolgt und zwar auch dann, wenn sie mit ausdrücklicher Zustimmung des Patienten oder der Patientin erfolgt. Sie ist mit dem christlichen Verständnis vom Menschen nicht vereinbar.
Selbstbestimmungsrecht des Patienten
Zum Patientenrecht (z.B. freie Arztwahl, Aufklärung, angemessene medizinische Behandlung) gehört auch das Recht auf Selbstbestimmung: Für die Durchführung oder Unterlassung einer Behandlung ist entscheidend, dass der einwilligungsfähige Mensch nach einer angemessenen Aufklärung seinen ausdrücklichen Willen dazu geäußert hat, selbst wenn der Arzt oder die Ärztin andere Diagnose- und Therapiemaßnahmen empfiehlt. Neben der Möglichkeit, jederzeit einen Behandlungsbeginn oder -abbruch zu bestimmen, umfasst das Selbstbestimmungsrecht des Patienten oder der Patientin auch die Möglichkeit, Verfügungen über zukünftige Situationen zu treffen. Dies gilt insbesondere für Lebenslagen, in denen Patienten ihre Rechte nicht mehr selbst ausüben, d.h. ihre Einwilligung nicht geben können, weil sie einwilligungsunfähig, z.B. zu schwach, verwirrt oder bewusstlos sind. Dann ist der mutmaßliche Wille des Patienten oder der Patientin ein wichtiger Orientierungspunkt für die Entscheidungen der Ärzte und Ärztinnen, der Pflegenden, Angehörigen oder Betreuenden. Bei der Ermittlung dieses mutmaßlichen Willens spielt die Patientenverfügung eine wichtige Rolle.
Zum Verhältnis von Arzt und Patient
Ein Arzt oder eine Ärztin ist grundsätzlich verpflichtet, einem kranken oder leidenden Menschen Hilfe zu leisten. Jede ärztliche Behandlungsmaßnahme muss sich an dem Kriterium der Hilfe für den kranken Menschen orientieren. Dies gilt auch für den Fall einer tödlichen Erkrankung. Nicht immer ist Fortführung oder Intensivierung einer bestimmten Therapieform eine Hilfe für den Patienten oder die Patientin. In manchen Situationen kann Therapiebegrenzung mehr dem Gebot der ärztlichen Hilfe entsprechen und im Sinne des kranken Menschen sein. Dabei ist zu beachten, dass der Wille des Patienten die Grundlage jeder Behandlung ist. Der Arzt ist somit verpflichtet, den Willen bzw. den mutmaßlichen Willen des Patienten für die gegebene Situation herauszufinden. Liegt eine eingeschränkte Einwilligungsfähigkeit des Patienten vor oder ist diese Fähigkeit z.B. im Rahmen einer Bewusstlosigkeit gar nicht mehr gegeben, können frühere Gespräche, Hinweise der Angehörigen oder aber eine Patientenverfügung dazu beitragen, dass der Arzt den Willen des Patienten berücksichtigen kann. Niemand darf gegen seinen Willen zu diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen gezwungen werden, und seien sie noch so aussichtsreich.
Es ist für eine sorgsame und angemessene medizinische Betreuung wichtig, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient aufzubauen. Angesichts schwerer Erkrankungen sollte dabei immer auch offen darüber gesprochen werden, welche Wünsche und Vorstellungen der kranke Mensch hat. Ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient schafft nicht nur Sicherheit für den Patienten, sondern besonders auch für den Arzt in seiner Verpflichtung zur Hilfe.
Behandlung und Pflege
Für den Fall, dass die Einschränkung therapeutischer Maßnahmen beschlossen wird, kommt der Behandlung und Pflege des kranken Menschen eine besondere Bedeutung zu. Therapiebegrenzung kann keinesfalls allein, sondern nur als ein Teil der jeweils erforderlichen Hilfe für den Patienten oder die Patientin angesehen werden. Die Therapiebegrenzung selbst ist ein Bestandteil einer umfassenden ärztlichen und pflegerischen Sterbebegleitung. Diese beinhaltet sowohl die im Vordergrund stehende menschliche Zuwendung zum kranken Menschen, die Linderung von Schmerzen und Beschwerden als auch die Durchführung spezifischer Behandlungsmaßnahmen, damit die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz geschützt bleiben. In diesem Zusammenhang ist es selbstverständlich, dass die Betreuung eine menschenwürdige Unterbringung, eine umfassende Körperpflege sowie das Stillen von Hunger und Durst umfasst.
Ausfall lebenswichtiger Funktionen
In der vorliegenden Patientenverfügung werden zwei Situationen angegeben, bei deren Eintritt auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden soll:
- im unmittelbaren Sterbeprozess oder
- bei nicht behebbarem Ausfall lebenswichtiger Funktionen des Körpers, der zum Tode führt.
Zu den lebenswichtigen Funktionen des Körpers gehören das Zentralnervensystem, die Atmung, die Herztätigkeit und der Kreislauf oder die Funktion der inneren Organe, wie z.B. Leber und Niere. Für einige dieser Funktionen ist heute ein zeitlich begrenzter Ersatz möglich. Es muss jede Situation individuell beurteilt werden, um festzustellen, wann dem Ausfall der lebenswichtigen Funktionen des Körpers nicht mehr sinnvoll begegnet werden kann. Folgende Situationen, bei denen eine Therapiebegrenzung in Betracht kommt, lassen sich unterscheiden:
a) Patienten oder Patientinnen im Sterbeprozess; z.B. beim „natürlichen Sterben“ im Alter, im Endstadium eines bösartigen Tumorleidens oder einer anderen, die Lebenskräfte verbrauchenden Erkrankung.
b) Absehbares Versagen der Intensivtherapie; z.B. bei ständig zunehmendem Ausfall mehrerer Organsysteme.
c) Schwere Komplikationen im Rahmen einer Therapie bei einer Grunderkrankung, die nach aller Erwartung tödlich endet; z.B. eine schwere Komplikation nach einer Tumoroperation, die nicht heilsam sein konnte.
d) Akute Erkrankung (Unfall) mit besonders ungünstiger Prognose; z.B. schwere Verbrennungsgrade, schwere Mehrfachverletzung, Blutungen im Gehirn.
e) Erhebliche Belastungen bei Fortsetzung einer vermutlich erfolglosen Behandlung; z.B. wiederholte, bisher erfolglose Organtransplantation.
f) Patienten und Patientinnen im anhaltenden Koma nach Herz-Kreislauf-Stillstand.
Seelsorgerlicher Beistand
In Deutschland gewährleistet das Grundgesetz den Patienten und Patientinnen in öffentlichen Krankenhäusern das Recht auf seelsorgerliche Betreuung. Der Wunsch nach seelsorgerlichem Beistand meint, dass der kranke Mensch den Besuch eines Seelsorgers oder einer Seelsorgerin – möglichst der eigenen Konfession – erbittet. Dieser Beistand soll Gespräch, Gebet, Zuspruch und das Angebot der Nähe Gottes ermöglichen.
Weitere Formen der Willensäußerung
Das deutsche Recht kennt neben der Patientenverfügung noch weitere Formen der Willensäußerung. Für den Krankheitsfall sind insbesondere wichtig:
Vorsorgevollmacht
Eine Vorsorgevollmacht kann auch unabhängig von der Patientenverfügung ausgestellt werden. Eine Vorsorgevollmacht bietet die Möglichkeit, eine Vertrauensperson zu benennen, die die Aufgaben eines oder einer Bevollmächtigten übernehmen kann, falls das nötig wird. Die Patientenverfügung ist aber unabhängig davon gültig. Um wirksam zu sein, muss die Vorsorgevollmacht gesondert unterschrieben werden. Eine bevollmächtigte Person hat die Aufgabe, meine Interessen für den in der Vorsorgevollmacht bezeichneten Fall zu vertreten. Deshalb sollten mit ihr über meine Vorstellungen geredet werden, die ich in der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht zum Ausdruck bringen will. Die Vertrauensperson sollte auch das Zweitexemplar der Patientenverfügung erhalten.
Bei der Auswahl einer Vertrauensperson kommen selbstverständlich Angehörige (Ehepartner, Kinder, Geschwister) in Betracht. Aber auch langjährige oder enge Freunde und Freundinnen oder vertraute Bekannte können bevollmächtigt werden. Sicherlich wird bei der Auswahl eine Rolle spielen, mit wem diese Vorstellungen am besten besprochen werden können und wer voraussichtlich auch emotional mit der eventuell später eintretenden Situation umgehen kann.
Betreuungsverfügung
Von einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht unterschieden ist eine sog. Betreuungsverfügung. Durch eine Betreuungsverfügung kann eine bestimmte Vertrauensperson benannt werden, die für den Fall, dass die kranke Person unfähig ist, sich mitzuteilen, ermächtigt werden soll, über bestimmte persönliche Angelegenheiten (finanzielle Fragen, Aufenthaltsbestimmung u.a.) Entscheidungen zu treffen. In diesem Fall wird empfohlen, eine solche Vollmacht schriftlich oder vor einem Notar zu erteilen. Damit kann der oder die Betroffene die Möglichkeit nutzen, Einfluss zu nehmen, wer vom Vormundschaftsgericht bestellt wird, um die Angelegenheiten als rechtlicher Betreuer oder rechtliche Betreuerin zu regeln. Dieses wird man also nicht schon dadurch, sondern erst mit der Bestellung durch das Vormundschaftsgericht.
Eine Patientenverfügung entfaltet nur insoweit betreuungsrechtliche Wirkungen, als sie für den vom Vormundschaftsgericht bestellten rechtlichen Betreuer bzw. die rechtliche Betreuerin die Möglichkeit bietet, den mutmaßlichen Willen der betreuten Person zu ermitteln und danach zu handeln.
Verfügung über Organspende
Seit dem 1. Dezember 1997 gilt in der Bundesrepublik Deutschland ein Transplantationsgesetz, das die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen bei Menschen regelt. Wer sich für eine Organspende nach seinem Tode entscheiden möchte, dem wird empfohlen, einen gesonderten Organspenderausweis auszufüllen und bei den Ausweispapieren mit sich zu tragen. Ausweis und Informationen sind bei den Sozialministerien der Bundesländer, dem Arbeitskreis Organspende (Postfach 1562, 63235 Neu- Isenburg), in Apotheken, Stadt- und Gemeindeverwaltungen und Arztpraxen erhältlich.
Achtung!
Im Falle von Krankheit und Alter können über die hier genannten Formen der Willensäußerung hinaus noch andere Dinge geregelt werden. Dies geschieht durch Vollmachten für private, geschäftliche und finanzielle Angelegenheiten und durch die Erstellung des Testamentes, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll. In diesem Fall ist der Besuch bei einem Rechtsanwalt oder Notar sinnvoll.
Fragen über Fragen
Fragen über Fragen – was das Sterben betrifft. Wir müssen ihnen nicht ausweichen, sondern können ehrliche Antworten suchen und zu praktischen Schritten finden.
- Wodurch ist mir die Frage nach den Grenzen meines Lebens gerade jetzt wichtig geworden?
- Welche Erfahrungen habe ich bisher mit Verlust, Schmerz, Abhängigkeit oder auch Einsamkeit gemacht?
- Was empfinde ich als hilfreich, wenn ich mich schwerer Krankheit, Leiden oder Hilflosigkeit bei mir oder bei anderen ausgesetzt sehe?
- Was hat das mit meinem Glauben zu tun?
- Wen hätte ich gern in meiner Nähe, wenn es mit meinem Leben zu Ende geht?
- Wie zeige ich dann, was mir wichtig ist und was ich erwarte?
- Wie wichtig ist mir die Frage, was nach meinem Tod kommt?
- Wovon fiele mir der Abschied besonders schwer?
- Worauf würde ich mich freuen?
- Welche Vorkehrungen für den Todesfall habe ich getroffen?
- Mit wem würde ich gern über solche Fragen sprechen?
Eine Informationsschrift, auch Handreichung zur Christlichen Patientenverfügung genannt, enthält noch weitere Erläuterungen, die helfen sollen, mit anderen Menschen über das Sterben und über erwünschte und unerwünschte Schritte in Falle einer lebensbedrohlichen Krankheit ins Gespräch zu kommen. Ebenso bietet sie Beispiele für die Formulierung einer Patientenverfügung sowie einer Vorsorgevollmacht an.
Anstöße zum Nachdenken
Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. (Römer 14,8 Einheitsübersetzung)
Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir, wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein. (Paul Gerhardt)
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. (Psalm 90,12 Lutherübersetzung) Wenn die Vollendung kommt, werden wir überrascht sein, wie ganz anders alles sein wird, als wir es uns vorgestellt haben. (Karl Rahner)
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. (Psalm 23,4 Lutherübersetzung)
Geburt – das Kommen aus der Liebe. Tod – das Zurückgehen in die Liebe. Der Zwischenraum – unser Leben ein Geschenk, um diese Liebe in unseren Seelen zu entfalten. (Ursa Paul)
Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. (Offenbarung 21,4 Einheitsübersetzung)
Nach unserem Verständnis bestimmt nicht der Mensch den Zeitpunkt des Sterbens, sondern Gott. Wenn wir über unser Sterben nachdenken, kann uns das helfen, uns zu Gott hin zu öffnen, der unser Leben und Sterben in seinen Händen hält.
Literatur: Handreichung zur Christlichen Patientenverfügung
Bei Interesse sind weitere Informationen auch unter der folgenden Adresse zu beziehen:
Evangelische Kirche in Deutschland, Herrenhäuser Straße 12, 30419 Hannover,
Tel.: 05 11/2796-0